"Unterschiedliche Vergütungsvereinbarungen als Ergebnis individueller Verhandlungen sind explizit nicht geeignet, Vergütungsunterschiede bei gleicher Tätigkeit zu rechtfertigen. In Ermangelung eines sachlichen Rechtfertigungsgrunds für die ungleiche Vergütung erwachse somit die Vermutung des Vorliegens einer unzulässigen Benachteiligung wegen des Geschlechts."
Urteile Vergütungsunterschiede – Urteile Equal Pay
Equal Pay, Vergütungsunterschiede: Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG)
BAG-Urteile vom 18.01.2023 (5 AZR 108/22) und vom 16.02.2023 (8 AZR 450/21) zu Equal Pay und Vergütungsunterschieden
In zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von Anfang 2023 steht Equal Pay im Fokus. Dabei entschied der Senat zum einen über die Zulässigkeit von Vergütungsunterschieden allein aufgrund unterschiedlichen Beschäftigungsumfangs. Zum anderen bestätigt das höchste Arbeitsgericht erneut die Verpflichtung Arbeitgebender zur gleichen Vergütung bzw. Equal Pay von männlichen und weiblichen Arbeitnehmenden bei gleicher Tätigkeit. Diese Urteile sind von hoher praktischer Relevanz für die Rechtmäßigkeit individueller, betrieblicher sowie tariflicher Vergütungsvereinbarungen.
Equal Pay Urteil 1: Gleiche Vergütung auch bei unterschiedlichem Beschäftigungsumfang
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Januar 2023 – 5 AZR 108/22
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 19. Januar 2022 – 10 Sa 582/21 –
Der Kläger ist bei der Beklagten als nebenamtlicher Rettungsassistent geringfügig beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag sieht einen Umfang von 16 Monatsstunden zu einer Brutto-Vergütung von 12 Euro pro Stunde vor. In Vollzeit beschäftigte hauptamtliche Rettungsassistenten werden hingegen mit 17 Euro pro Stunde brutto vergütet.
Die Arbeitseinteilung hauptamtlich Beschäftigter erfolgt dabei einseitig durch die Beklagte. Im Gegensatz dazu gibt die Beklagte nebenamtlich Beschäftigten zu besetzende Dienstschichten bekannt. Darüber hinaus stellt sie ihnen bei Ausfall hauptamtlich Beschäftigter auch kurzfristig Anfragen zur Übernahme von Dienstschichten als Vertretung. Die Entscheidung über die Annahme von Arbeitsschichten liegt jedoch bei den nebenamtlich Beschäftigten.
Streitgegenstand der Parteien ist die Differenz aus der Vergütung vollzeitbeschäftigter Mitarbeitender und der Vergütung aus geringfügiger Beschäftigung bei gleicher Tätigkeit. Der Kläger macht eine Benachteiligung seinerseits aufgrund Beschäftigung in Teilzeit gegenüber vollzeitbeschäftigter Rettungsassistenten gelten. Er verlangt von der Beklagten eine zusätzliche Vergütung in Höhe von 3.285,88 Euro brutto für den Zeitraum von Januar 2020 bis April 2021.
Das Landesarbeitsgericht hatte die Entscheidung des Arbeitsgericht auf Berufung des Klägers revidiert und der Klage stattgegeben.
Die Beklagte stellt in Revision auf sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Vergütung ab. Sie argumentiert einerseits mit geringeren Planungsaufwand und größerer Planungssicherheit in Bezug auf den Dienst hauptamtlicher Rettungsassistenten. Andererseits bringt sie die stärke Weisungsgebundenheit als Begründung für die höhere Vergütung von hauptamtlich Beschäftigten hervor.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz und weist die Revision ab.
Aus den Gründen: Die unterschiedlichen Verfahren zur Arbeitseinteilung stellten keinen signifikanten Faktor in Bezug auf Planungsaufwand oder Planungssicherheit für die Beklagte dar. Darüber hinaus seien Qualifikationen und Tätigkeiten nebenamtlicher und hauptamtlicher Rettungsassistenten gleich. Somit liege kein sachlicher Rechtfertigungsgrund für die unterschiedliche Behandlung von teilzeitbeschäftigten und vollzeitbeschäftigten Mitarbeitenden vor (vgl. § 4 I TzBfG). Die ungleiche Vergütung stelle also eine unzulässige Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Mitarbeitender dar.
Equal Pay Urteil 2.: Benachteiligungsverbot bei individuellen Gehaltsverhandlungen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Sachsen, Urteil vom 3. September 2021 – 1 Sa 1358/19 –
Die weibliche Klägerin ist seit März 2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin beschäftigt. Sie erhält eine monatliche Grundvergütung in Höhe von 3.500 Euro brutto. Ein männlicher Kollege, der seit Januar 2017 bei der Beklagten im Außendienst beschäftigt ist, erhält von Beginn der Beschäftigung an bis einschließlich Oktober 2017 hingegen eine monatliche Brutto-Grundvergütung in Höhe von 4.500 Euro, von November 2017 bis Juni 2018 in Höhe von 3.500 Euro und ab Juli 2018 in Höhe von 4.000 Euro.
Streitgegenstand ist in diesem Fall der Differenzbetrag aus der monatlichen Brutto-Grundvergütung der Außendienstmitarbeiterin und der ihres männlichen Kollegen. Der Betrag beläuft sich für den Zeitraum von März 2017 bis Oktober 2017 auf 1.000 Euro brutto pro Monat und für Juli 2018 auf 500 Euro brutto. Die Klägerin macht eine unzulässige Benachteiligung ihrerseits aus Gründen des Geschlechts durch die Beklagte geltend. Die Beklagte begründet die ungleiche Vergütung mit unterschiedlichen Ergebnissen der Vergütungsverhandlungen auf individueller Ebene.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.
Das Bundesarbeitsgericht revidierte die vorinstanzlichen Entscheidungen und gibt der Klage statt.
Aus den Gründen: Die Klägerin verrichte die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege. Gemäß Art. 157 AEUV, §§ 3 I, 7 EntgTranspG ergebe sich daraus ein Anspruch auf die gleiche Brutto-Grundvergütung. Insbesondere unterschiedliche Vergütungsvereinbarungen als Ergebnis individueller Verhandlungen seien explizit nicht geeignet, Vergütungsunterschiede bei gleicher Tätigkeit zu rechtfertigen. In Ermangelung eines sachlichen Rechtfertigungsgrunds für die ungleiche Vergütung erwachse somit die Vermutung des Vorliegens einer unzulässigen Benachteiligung wegen des Geschlechts (vgl. § 22 AGG). Diese Vermutung sei durch die Beklagte nicht widerlegt worden.
Relevanz der BAG-Urteile für die betriebliche Praxis
Im 1. Urteil (18. Januar 2023 – 5 AZR 108/22) entschied das Bundesarbeitsgericht über die Eignung spezieller sachlicher Rechtfertigungsgründe für eine ungleiche Behandlung von teilzeitbeschäftigten und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmenden. Mit dem 2. BAG-Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21 – wird insbesondere das Erreichen des normierten Ziels bekräftigt, das Gebot der gleichen Vergütung für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen. Auf diese Weise hebt der Senat erneut mit Nachdruck die Relevanz des § 1 EntgTranspG hervor.
Damit tragen beide Entscheidungen bedeutsam zur weiteren rechtlichen Ausgestaltung des komplexen Bereichs der Vergütung von Arbeitnehmenden bei. Sie fördern Klarheit bei der Abgrenzung des Gerechtigkeitsbegriffs in Bezug auf Vergütungsgleichheit und Zulässigkeit von Voraussetzungen für individuelle Vergütungsunterschiede. Aus diesem Grund sind nicht nur zukünftig umzusetzende Vergütungssysteme umfassend auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Es ist sinnvoll, ebenfalls die Regelungen etablierter Vergütungsmodelle eingehend unter aktuell geltendem Recht zu evaluieren.
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